Über das Alter
Das Haupt ist frisch, der Magen ist gesund,
Die Beine aber wollen nicht mehr tragen. (Schiller Wallenstein, Die Piccolomini)
Lasst mich heute über ein Thema sprechen, das ich für sehr wichtig halte, denn es betrifft uns alte weiße Männer, die die statistische Lebenserwartung (LE) schon seit langem überschritten haben, trotzdem geistig und soweit es geht auch körperlich gesund sind.
Es geht um das Alter.
Die Zahlen dazu: Die LE liegt für Männer derzeit bei 78,6, für Frauen bei 83,4 Jahren. Unsere Klassenstärke beträgt derzeit 15 Personen. Das durchschnittliche Alter liegt bei getan 85 Jahren, also 6,4 Jahre über der statistischen Zahl. Ich will nicht darüber reflektieren, was das bedeutet, denn Horaz wusste: Quid sit futurum cras, fuge quaerere.
Aber im Ernst: unsere Gesellschaft hat mindestens zwei bemerkenswerte Eigenschaften: einmal die Verherrlichung der Jugend (oder was sie dafür hält) und zum Anderen die zunehmenden Ausgrenzung des Alters, zumal des Hochbetagten, der latent (versteckt, kryptisch, hinter vorgehaltener Hand) beschuldigt wird, immer noch zu leben. Dies kann an man vielen Beispielen erkennen, etwa der Tatsache, dass der Rat des Älteren nicht mehr für konfuzianisch weise gehalten wird, sondern als lästiger und verzichtbarer Affekt des Älteren. Dennoch erstaunlich ist es, als gültige Sprachregelung diese Hochbetagten (also uns) z.B.in der Pandemie für etwas zu Schützendes zu halten. Das bezieht sich – horriblie dictu – aber leider nicht auf den geistig intakten, hoffentlich weitgehend gesunden Greis, sondern meist auf die bedauernswerten in den Heimen eingesperrten Dementen und geistig/körperlich Behinderten. Das muss so sein, doch wünsche ich mir mehr Ehrlichkeit..
Aber wir, die wir unverrückbar einer anderen, alten, und nicht mehr kompetenten, nicht mehr gefragten Generation angehören, bringen für genau diese sich viel zu schnell ändernde Gesellschaft kaum Verständnis auf. Schnelligkeit – für den Greis ein Fremdwort – ist überall zu beobachten: Schnelles Sprechen, schnell wechselnde Bilder in Fernsehen und Kino, meist mit extremer Lautstärke (für uns nicht unbedingt laut) und flüchtiger Beliebigkeit z.B. in den Szenerien der “sozialen” Netze , die ja alles andere als sozial sind. Natürlich könnte es manche der Jüngeren stören, dass diese Hochbetagten noch immer so erstaunlich fit sind, und dies geistig wie körperlich (mens sana…). Doch wie wäre es, wenn man diese Menschen weiterhin für wertvolle Glieder der Gesellschaft nehmen würde? Stattdessen nimmt man sie als Nutznießer der materiellen Güter, der Renten etwa, die von den Alten gleichsam aufgefressen werden.
Dann die Druckfehler in den Printmedien: Kürzlich ist eine sehr bekannte eindrucksvolle Zeitzeugin des Holocaust, Frau Esther Bejanaro, verstorben. Sie stammte aus Saarlouis und die unsere Saarbrücker Zeitung informiert über ein ausliegendes Kondolenzbuch. Die Überschrift zum Artikel lautete “Kondolzenbuch“, eine Verbalhornung, die einer Beleidigung der Toten gleichkam. Wurde nicht kommentiert oder gar korrigiert.
Das ist zwar ein eher geringfügiges Beispiel für die Oberflächlichkeit und Beliebigkeit unserer Gesellschaft – man kann auch sagen Vielfalt -, aber es ist eben beispielhaft. Das Alter wir nicht mehr wertgeschätzt.
Und dann die Sprachdiktatur, die unser Leben zu bestimmen beginnt in Form der “Gender”-Sprache – allein schon das ein Sorachungetüm. Ich erinnert mich an ein. Interview mit Stefan Aust den früheren Chefredakteur des Spiegel, der auf die Frage “Was halten Sie von der Gendersprache?” antwortete: “Ich halte sie für das, was sie ist: bekloppt!” Nichts scheint mir wahrer als diese Aussage. Und unsere Medien beteiligen sich an diesem pseudo-pädagogischen Wahn, und man merkt manchen der Moderatoren die Mühseligkeit an, sich diesem redaktionellen und weiblichen Srachdiktat zu unterwerfen. Dass das zu erschreckender Sinnentleerung führt, etwa wenn man garnicht mehr erkennen kann, dass mit dem Wort Staatsanwältinnen möglicherweise auch die männlichen Vertreter dieser Spezies gemeint sind. Feminines Generikum nennt man das… Sollen diese Männer vielleicht auch garnicht. Wir (immerhin 50%) sollen uns nicht mehr erkennen können… Wir finden uns min dieser Welt nicht mehr zurecht.
Die Haupterkenntnis für uns Alte ist also, dass wir zunehmend in unserer Gesellschaft fremdeln, nicht mehr gehört werden und an der Grenze zur Diskriminierung leben..Das unübersichtliche, schnelle Momentum ist für uns nicht mehr nachvollziehbar und auch rezeptorphysiologisch nicht mehr akzeptabel.
Ich erinnere mich an ein Erlebnis als Assistenzarzt etwa 1989 mit meinem damaligen Chef. Prof. Wollheim in Würzburg. Es ging um die Einführung oder Anschaffung einer elektronischen Rechenmaschine, heute würde man sagen Computer. Wollheim sah das nicht ein und ich sagte auf einer Sitzung zur allgemeinen Verwunderung: “Ein wichtiger Grund für die Anschaffung ist etwa, dass man wissenschaftlich schneller arbeiten kann,” Er antwortete sinngemäß, dass man auch ohne Computer Wissenschaft betreiben könne und Schnelligkeit nicht nötig sei. Ich sagte: ” das liegt an Ihrer Rezeptorphysiologie, denn der Computer hat solche Rezeptoren nicht und ist rasend schnell…”
So geht es uns Alten heute auch. Wir kommen nicht mehr mit und hätten doch soviel zu sagen. Man möchte fast verzweifeln.
Kommentare
Über das Alter — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>