Der Schlips, das unbekannte Wesen
Ganze Generationen, unsere wie die vor uns, haben sie getragen, die Kravatte, den Binder oder den Schlips. Sie war ein Statussymbol, ein Initialisierungsmarker (endlich erwachsen, weg mit der Lederhose) und ein auch für uns manchmal gehasstes Marterinstrument. So gesehen, führte die Befreiung von ihr, auch ein 68er-Resultat, nicht unbedingt zu tiefer Trauer, selbst wenn es für mich zumindest dann immer noch unabdingbar ist, auf Kongressen oder zu offiziellen Anlässen, diese Kulturstrippe anzulegen. Windsor versteht sich, was anderes konnte und kann ich nun mal nicht. Kravatte – bedingt verzichtbar also… Wir haben sie auch oft recht straff gebunden, fast haben wir uns stranguliert.
Und was muss ich heute in der Zeitung lesen:
Wissenschaftler aus Kiel haben herausgefunden, dass beim Tragen von Krawatten der zerebrale Blutfluss sinkt.
Das ist eine Meganachricht. Wir – die Kravattenträger, die Anzugträger, also statistisch die alten weißen Männer, wir – sind zerebral geschädigt. Das wussten viele ja schon immer, doch jetzt ist es wissenschaftlich belegt.
Es erklärt ja nun eine Menge, von der Relativitätstheorie (Einstein war mit Kravatte, als er sie entdeckte, glaube ich) bis zu Otto Hahn, der die Uranspaltung erreichte und immer mit Kravatte zu sehen war und vielen anderen.
Auch unsere Lehrer trugen sie, nachweislich einer Zeichnungsserie von Rudolf Zabel, die dieser im Unterricht anfertigte. Die Hirne derselben müssen nun auch in neuem Lichte betrachtet werden
Waren sie (Einstein, Hahn, Venske) debil, meschugge, hirnrissig? Und was wäre wohl menschheitsmäßig entstanden, wenn sie keine Kravatten getragen hätten?
Das auszumalen, fehlt mir die Phantasie, denn ich denke, wir hirngeschädigten Kravattenträger sollten darüber nicht allzuviel nachdenken; schonen wir die noch verbliebenen grauen Zellen, die wir noch nutzen müssen, um unsere Einkaufszettel, die uns unser Frauen mitgeben (keine Kravattenträger!) abzuarbeiten …