Der Zauberberg I
Nun also wieder Thomas Mann. Ich las den “Zauberberg”, meine Ausgabe aus dem Jahre 1956, noch gut erhalten, also wohl wenig gelesen, aus unserm Abijahr. Sie war in meiner Bibliothek ein wenig versteckt, konnte aber doch aufgefunden werden. Wir besuchten ja 2017 seine Vaterstadt Lübeck und sein Haus, in dem er freilich nie gewohnt hat. Aber doch ungemein putzend. Doch zum Buch:
Man kann sich eine Literatur, eine deutsche zumal, ohne den substantiellen Beitrag eines Thomas Mann nicht vorstellen, selbst wenn man bedenkt, dass wir als Schüler diese Lektüre wegen ihrer anspruchsvollen Diktion – absatzlange Sätze, Schachtelsätze, bei den man lange nach dem Satzbau suchen muss, scheinbar vollständiger Verlust von SPO in eben diesem Satzbau etc. – eher verabscheuten und ablehnten. Diese Ablehnung hielten viele leider zeitlebens bei.
Und das ist schade, denn Mann ist mehr als nur “Schrift”-Steller, er ist – wie ihn seine (kritikwürdigen) Kindern nannten – ein “Zauberer”-Erzähler. Ich habe einen Zugang zu seinem Werk gesucht, und in den Buddenbrooks gefunden. Über dieses Frühwerk mit allen Nuancen eines Mode-, Herz-, Familienromans, aber auch der des tragischen Abgangs dieser Lübecker Kaufmannsfamilie gelangte ich zu den Erzählungen, die nun wiederum einen der Kerntalente Manns darstellen. Man denke nur an den “Tod in Venedig”, “Wälsungenblut”, “Die vertauschten Köpfe” u.v.m., um diese Doppelseite Manns zu sehen, die in einer ausgeprägten Ernsthaftigkeit mit Hang zur Selbstdarstellung, aber auch in einer unerreichten Ironie des Erzählers besteht. Beides ist nicht sicher zu trennen und oft fühlt man sich von Mann “auf den Arm genommen“. Man nehme nur “Lotte in Weimar” oder – noch besser – “Der Erwählte”, um diese Seite der Erzählkunst Manns sehr schätzen zu lernen.
Doch ein Roman sticht in jeder Hinsicht aus dem genannten Werken hervor, sowohl was die Ernsthaftigkeit, die Ironie, aber auch die solide, beschreibende, berichtende Stilform in diesem Buche betrifft. Es geht um den “Zauberberg“, 1913 begonnen und 1924 beendet und veröffentlicht. Einen vielschichtigeren, vermächtnisartigen Roman (“Dr. Faustus” erschien ja viel später, in Kalifornien) kann ich mir nicht vorstellen. Die Episoden sind so zahlreich, so unterschiedlich, dass man sie nicht so ohne Weiteres referieren kann. Zentral sind die drei Dialogfiguren Settembrini, Naphta, Peeperkorn, doch sind die vielen Randfiguren am Sanatorium Berghof von Davos keineswegs sekundär und alle zusammen widerspiegeln die Vorkriegsepoche kurz vor dem Ersten Weltkrieg in ihrer Selbstvergessenheit und Isolation, für die ja der Berghof steht, zuverlässig. “Und da dröhnte…” der Donnerschlag des Kriegs in diese Welt hinein. Das war dann das Ende der Epoche, und es war das Ende des Romans.