75 Jahre Hitler-Attentat
Heute, am 20. Juli 1944, versuchte Claus Graf Schenk von Stauffenberg, Hitler mit einer selbstgebastelten Bombe zu töten. Das misslang, und bis heute wird mehr oder weniger objektiv und auch unlauter über die Sinnhaftigkeit und die Beweggründe der Verschwörer nachgedacht. Es sind in diesem Jahre zwei neue Biografien erschienen, eine vom Berliner Publizisten Thomas Karlauf und eine von Sophie von Bechtolsheim, der Enkelin des Grafen. Erstere habe ich gelesen und muss sagen, so ganz überzeugt hat mich die darin vertretene These nicht, dass nämlich der Graf von Stefan George gesteuert worden sei, und das “geheime Deutschland” Georges sei auch sein Motto gewesen.
Klar ist, dass es sich um ein Attentat einer in das militärische Umfeld einzuordnenden Gruppe gehandelt hat, die zu einem nicht kleinen Teil große moralische und preußisch kodifizierte Bedenken hatten, den Verbrecher zu töten.Hier handelte der Graf unzweideutig und einmalig, er handelte auch letztlich allein. So war er nur sich und seinem Gewissen verantwortlich, und das ist es auch, was auch für uns Nachkommen bleibt. Das ist unverrückbar und unantastbar. Und das Scheitern ist es ebenso, denn es ist wohl doch tragisch, selbst wenn die Fehlerhaftigkeit der Durchführung eher menschlich- allzumenschliche Züge tragen.
Was aber diskutiert werden muss, ist die totale Uneinigkeit, Unentschlossenheit, Zerstrittenheit der Verantwortlichen, die Zweigleisigkeit der Generäle, die natürlich ihren Kopf retten wollten. Das gelang vielen von ihnen nicht. Ich fürchte, dass dieses Verhalten auch heute noch Gültigkeit und Bestand hätte, käme es – unwahrscheinlicher-und furchtbarerweise – zu einem ähnlichen Szenario.
Ein letztes Wort zum Erinnerungsverhalten: wir sehen und wissen, dass Zeitzeugen (wie wir) langsam und vorhersehbar aussterben. Damit gehen wichtige Trigger und Multiplikatoren einer scheußlichen, aber doch vorhandenen und immens wichtigen Erinnerung verloren, und die Folge ist eine Verdrängung und ein Vergessen, das nur durch historisierende Kontexte an entsprechenden Jahrestagen von Historikern oder Publizisten teilweise aufgehalten wird. Es ist dies vielleicht unvermeidbar. Man kann das an dem jäh aufflammenden Interesse an Martin Luther und seinem 500jährigen Jubeljahr in 2017 erkennen. Es war medienlanciert, und es war ein Strohfeuer, denn heute redet niemand mehr über diesen so wichtigen Mann.
Doch das Attentat, seine Vorgeschichte und sein Umfeld, das waren gänzlich andere historische Bedingungen. Sie fussten auf dem verbrecherischen Regime Hitlers und seiner Parteigenossen und waren insoweit auch geschichtlich zumindest in der kürzeren europäischen Geschichte einmalig. Sie wirkten und wirken auf unser deutsches Geschichtserleben geradezu epigenetisch ein, und das ist teils gut, teils nicht so gut. So haben wir postmodernen Deutschen eine pazifistische Armee, ein traumatisches Verhältnis zu Israel und eine Vielzahl erinnerungskulturell unwirksamer Gedenktage wie den heutigen, aber wir haben auch ein vor allem ostdeutsches Narrativ einer deutschtümelnden Selbstfindung durch Identitätsverlust. Die “Identitäre Bewegung” ist da ein unheilvolles Zeichen.
Ich hoffe nur, dass eine schlechte Entwicklung der Erinnerung nicht so sehr schaden, dass die Helden des Gewissens von 1944 zu Schimären des neuen Rechtsradikalismus werden. Denn dieser streckt uns heute wieder sein häßliches Haupt entgegen und konterkariert das, was Graf Stauffenberg wirklich tat: Heldisch gegen das Böse aufstehen und seinem Gewissen folgen.
Mit und ohne Stefan George.
Kommentare
75 Jahre Hitler-Attentat — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>