Neuzehnhundertfünfundvierzig
Zusammenbruch oder Stunde Null, was war das für eine Zeit, die Zeit um 1945? ich lese da ein Buch, einen Schmöker aus 1949, geschrieben von einem damals noch in der DDR lebenden Schriftsteller und Journalisten namens Heinz Rein. Er beschreibt diese Zeit kurz vor und nach dem Wechsel von Nazi-Diktatur auf eine freiheitliche Demokratie. Ziemlich packend beschrieben, die aktuellen Umstände der letzten Stunden dieses Regimes, in der die Tagesabläufe von den Bombenalarmen (dreimaliges Sirenengeheul), zuletzt in minütlichen Abständen, bestimmt waren. Greifen der Koffer, ein paar Kleider, dann los zum nächsten LS (= Luftschutzkeller), weiße Farbe an den Hauswänden und dann ca. 5 m unter die Erde. Bei Entwarnung (einmal langgezogene Sirene) schnell rausgekrochen – wenn das ging – und geschaut, ob das Haus noch steht, aus dem man kam.
Das ganze spielt in Berlin um 1945, aber dieser Rein (mir bis dato völlig unbekannt) bezieht sich im Verlauf vor allem auf die Psychografie der dort noch lebenden Menschen, einem Deserteur, dreier “Illegaler”, also untergetauchter Widerständler und Nazi-Bonzen der letzten Stunden. Ist wirklich interessant und packend beschrieben, wie sich diesen Menschen immer wieder die Existenzfrage stellt, sowohl der regimekritischen wie der dem Regime verfallenen Teilnehmer am Geschehen. Was ich aber besonders bemerkenswert finde ist die Begründung, die Rein gibt, warum so viele Menschen dem Naziverführung verfallen sind – er gibt eine ziemlich einfache: es sind die Versager der 20er Jahre, die Übriggebliebenen des Krieges und auch Kriminelle, die sich im Regime sicher fühlen dürfen. Besonders aber ist es der kleinbürgerliche Mittelstand, der die, heute würde man sagen, populistischen Thesen Adolf Hitlers aufgreift und zu den seinen macht. Dieser Mittelstand ist aber durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichnet, und das ist die fehlende oder mangelhafte Bildung; man muss da zustimmen. Aber leider waren ja auch die sich intellektuell Gerierenden wenigstens zeitweise überzeugt von der Überwertigkeit des deutschen Wesens und des “Volkstums”. Und diese waren es, die das Regime festigten, selbst wenn der treibende Faktor für diese oft, beschämenderweise, die berufliche und persönliche Karriere war
Hier liegt also ein gewisser Bruch, indem Rein diese nicht einflusslose Schicht quasi ausklammert, und das Verbrecherische des Regimes durch dessen Repräsentanten in den Vordergrund stellt. Für manche unserer Großeltern und Eltern gilt gewiss das eine wie da andere, für die meisten jedoch die Überlebensangst. Und der gemeinsame Nenner, auf den man sich einigen könnte, wäre der der Verführung, der Vereinfachung und der perspektivischen Argumente des Regimes.
Irgendwie spiegelt sich da ein bisschen unsere Gegenwart, in der, abgesehen von den eher wirkungslosen Neonazis ja nun auch schon wieder Populisten von sich reden machen und sogar gewählt werden. Hierüber wäre gerade in unserer Geschichte und in unserer Gesellschaft, die Vieles erlebte und doch manchmal zeigt, dass sie noch Hausaufgaben zu machen hat, und das besonders auf dem Hintergrund, dass Deutschland als Nation wieder eine führende Rolle in Europa und in der Welt spielt, wenn es auch vornehmlich eine wirtschaftliche Macht ist. Wir blicken auf mehr als 70 Jahre Frieden in Europa zurück. Das macht mutig.