Lukas Bärfuss: Hundert Tage
Endlich mal wieder ein “Roman” in bester und traditioneller Erzählkultur, dieser Roman des Preisträgers des Georg-Büchner-Preises Lukas Bärfuss. Dieser ist Schweizer und befindet sich daher fast automatisch in der Tradition der Dürrenmatt und Frisch, oder? Doch der Reihe nach:
Diese Hundert Tage des Völkermordes in Ruanda 1994, eigentlich ein Liebesroman über die Beziehung einer Ruanderin namens Agathe auf der Seite der Hutu, der “Kurzen” zu dem Schweizer Entwicklungshelfer Adolph Hohl, der als Angestellter des “Direktoriums” diese Zeit vor allem als Beobachter, aber nicht nur als solcher, miterlebt. Er erzählt seine Erlebnisse in einer Runde – was einen sofort an die Joseph-Conrad-Figur Marlowe erinnert, aus dem Roman “Herz der Finsternis”, in dem es um eine Schiffsreise in das Innerste des Kongo geht. Dann endet aber auch schon die Nähe der beiden Romane. Hier geht es ja um den an Grausamkeiten kaum überbietbaren Bürgerkrieg mit Millionen Toten auf den Seiten der Tutsi, den “Langen” im Roman, und den Hutu, die damals wohl die herrschende Oberschicht darstellten. Das “Direktorium” ist der Verwaltungsapparat einer Schweizer Entwicklungsgesellschaft, die sich sehr, fast zu sehr, an diese Oberschicht heranwirft, um die Verwendung der Franken bei den “Expats”, den draußen arbeitenden Experten sicherzustellen. Entwicklungshilfe vor 30 Jahren. Gar nicht mal so schlecht, auch unter heutigen Gesichtspunkten, was die Nachhaltigkeit anging: Umbau der Landwirtschaft und Einrichugn von Bildungsmassnahmen (Schulen) für die Gemeinschaft. Doch dieser eigentlich guten Hilfestellung setzte der Bürgerkrieg dann ein Ende. Die Schweizer gehen, Adolphe aber bleibt – wegen Agathe.
Der Akteur ist sozusagen mittendrin, doch er erzählt ja eigentlich die Liebesgeschichte mit jener Agathe, Rasseweib, Tochter eines höheren Ministerialen, die sich später auf die Seite der Hutu stellt. Übrigens erzählt Adolphe sehr viel mehr von den direkt mit ihm agierenden Menschen; die Grausamkeiten kommen eher in Nebensätzen, damit aber umso wirksamer daher.
Aber gerade deshalb ist das Buch – eigentlich ein Büchlein – lesenswert, den es plakatiert nicht, wie heute üblich, sondern es chiffriert, und die Chiffren verdeutlichen die Verbrechen mehr als eine realistische Beschreibung. Dass das Buch außerdem ein differenziertes und nicht immer vorteilhaftes Licht auf die Praxis der Entwicklungshilfe vor 30 Jahren wirft, ist keine Nebenbemerkung, denn der Autor dieses Blogs war ja ebenfalls vor 20 Jahren in einem afrikanischen Land als “Expat” tätig und kann in etwa beurteilen, wie ambivalent und teilweise konfliktscheu das war. Man musste sich mit den Mächtigen arrangieren, deren einzige Tugend die Korruption war – das ist auch im Bärfuss-Buch so.
Kann man mal lesen. Aber parallel dazu “Das Herz der Finsternis”!
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