Thomas Karlauf: Stauffenberg
Aus naheliegenden Gründen erschienen in diesem Jahr mindestens zwei neue Stauffenberg-Biografien, die sich in Autor, Lesart und Zielsetzung sehr unterscheiden. Autor ist hier deshalb wichtig, weil eines dieser Bändchen von der Enkelin des Grafen, Sophie von Bechtolsheim, verfasst wurde, was ich hier nicht im Einzelnen besprechen will. Der Graf war natürlich nicht “nur” der Attentäter”! Er war schon ein wenn auch gescheiterter Garant für ein “anderes” “heiliges” Deutschland. Aber soviel: natürlich beansprucht diese Enkelin mehr Deutungshoheit für sich als jeder andere, doch sollte man auch als Historikerin, die sie offenbar ist, die gesicherten Erkenntnisse zum Leben und Werdegang von Stauffenberg nicht ausser acht lassen. Dazu zählt, dass der Graf, unbeschadet seiner großen nationalen Bedeutung, kein “lupenreiner” Demokrat war. Wie auch, denn er war Oberst im Generalstab, die Weimarer Republik war ihm ein gescheitertes Experiment und ein neuer Versuch schien ihm, auch im Unterschied zu Goerdeler, unattraktiv.
Nun aber zu Karlauf. Diese lesenswerte Biografie unterscheidet sich grundsätzlich von vorhergehenden, die im Tenor des offiziellen Sprachgebrauchs vom Aufstand des Gewissens ausgehen und diesen den Widerständlern, allerdings allen, unterstellen. Karlauf bildet etwas anderes ab: nicht der Aufstand des Gewissens sei primum movens gewesen, sondern der Aufstand einer poetischen “Gewissheit” habe den Grafen getrieben, und diese sei von Stefan George ausgegangen. Also war Stauffenberg nicht politisch motiviert, sondern poetisch? Gewagte These, das.
Aber in seiner Wertung des 20. Juli streift er einige Gedanken, die nicht uninteressant sind, ja, die das Bild des “Attentäters” etwas schärfer machen. Mal abgesehen vom Einfluss des Georgekreises, der nach Karlauf sogar einen weiteren Widerstandskreis ergibt; man muss ihn nur richtig deuten.
Aber die andere Sache, dass nämlich zum Zeitpunkt de Attentats die Mehrheit des deutschen Volkes (noch) hinter Hitler stand, und die Tötung des Idols sicher zu einer Art Bürgerkrieg geführt hätte – denn die SS war militärisch stärker als das Walküre-Ersatzheer, diese Sache geht über die direkten Folgen des Attentats, so es denn gelungen wäre, weit hinaus. Und dann: die Alliierten waren nicht mehr bereit, einen Sonderfrieden zuzustimmen – alles Dinge, die die Ziele der deutschen Militärs mit Blick auf ein neues Deutschland (welches?) relativieren. Dass in den neun Monaten nach dem Attentat mehr Menschen umgekommen sind als in der gesamten Kriegszeit vorher, mag nachdenklich stimmen, ist aber auch keine hilfreiche Erkenntnis im Sinne der Deutung.
Und dann die absolute Kernfrage, die auch im Lichte der islamistischen Selbstmordattentäter sichtbar wird: warum hat er sich nicht mit Hitler selber in dei Luft gesprengt? Warum musste er unbedingt nach Berlin? Warum hat er nicht die zweite Bombe wenigsten zur ersten dazugelegt? Dann wäre nach Ansicht von Experten das Attentat sicher gelungen. Gut, der Graf wollte am neuen “heiligen” Deutschland – vielleicht auch im Sinne Georges – aktiv und konstruktiv mitarbeiten. Und es geistert ja immer noch dieses “geheime” Deutschland durch die Literatur, das George wohl am ehesten im Sinne eines elitären Gruppenprojekts gesehen hatte, auch keine demokratische Grundidee.
Wir müssen also wohl den Grafen als einen entschlossenen, aber auch fehlerhaften Menschen diskutieren, der aber genau darin zum Menschen wird, und nicht zum tragischen Übermenschen emporgehoben werden sollte. Was die meisten im so zerstrittenen Widerstand wollten, Hitler beseitigen, er hat es versucht. Und nur das zählt.
Übrigens Gerd wird sich erinnern: wir haben als Primaner auch über George gesprochen, mit seiner Attitüde der Kleinschreibung und seiner uns oft rätselhaften Lyrik.
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