Heinrich Böll: Jetzt bumst’s
Böll lesen: Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Das ist Zeitgeschichte. So schrieb man mal. Und Böll liest sich sehr epigonal-episch. Diese Namen… Beizmenne, Tötges, Blorna, Hach, Woltersheim etc. Diese Schwerfälligkeit, aber das ist Böll.
Der Band, er firmiert als Erzählung (Narratives ist ja heute ein Schlagwort fragwürdiger Essenz für das Zusammenhanglose) und ist von langen, herausfordernd langen, Sätzen bestimmt, ist lesbar und lesenswert, denn er beschreibt die Gesellschaft der Siebziger Jahre und zwar vor dem “Heißen Herbst” 1977. Es geht einerseits um den in körperliche Gewalt mündenden journalistischen Rufmord einer völlig unbescholtenen Person, aber auch um einen durch ebendiese journalistische Rücksichtslosigkeit herbeigeführten Selbstmord (der Mutter der Blum). Die Blum verliebt sich in einen gesuchten “radikalen Rechtsbrecher”, den sie beherbergt und als den “lieben Ludwig” bezeichnet. Die Polizei verhört sie (übrigens der Kommissar Beizmenne, fast sympathisch), soweit ist noch alles in Ordnung. Doch nun kommt die ZEITUNG ins Spiel. Und die kennt kein Erbarmen, keine Gnade.
Am Pranger steht diese jenseits aller Moral und Sitte auf die Bürger einwirkende Haltung der Zeitungsmacher (hier ist natürlich BILD gemeint), der Reporter und der Meinungsbildner, die vor nichts, aber auch garnichts zurückschrecken. Privatsphäre, Intimbereich, nichts bleibt mehr ungeschützt, und bumsen will er nunmal, der Reporter Tötges, als er die (nicht unattraktive) Blum final trifft. “Bumsen?” denkt diese, “na schön, jetzt bumst’s”, und erschießt den Reporter dann.
Die Siebziger, es ging um die Linke Szene, Baader und Meinhof – sie wurden noch “Gruppe” genannt – hatten bei einem Bankraub einen Polizisten erschossen (vielleicht), und alles was links schien, wurde mit Hass überzogen. Allein der Verdacht genügte schon, um Verfassungsschutz und BILD auf den Plan zu rufen. Und dann war der Betroffene so ziemlich am Ende.
Hat sich heute denn viel geändert? Nein, es ist nur verdeckter und verschleierter. Sensationsjournalismus als information warrior, man zeigt Kinder, Frauen, gern zwischen Trümmern und sorgt sich nicht um deren Schicksale, doch nutzt ihr Bild als “teaser”, als Auf-den Geschmack-Bringer. So what?