Besprechung mit anschließendem Frühstück 1942
Es ist an uns, den heute vielfach zitierten „Zeitzeugen“, zu berichten und festzuhalten, etwas zu tun, das der notwendigen Erinnerung dient und auch die nach uns Geborenen in die Geschichte unseres Volkes einbetten, einbinden muss. Wir sind es, die noch lebendig sind und von der Schande, die über uns kam, wissen, mit Schuld und Scham, doch auch mit dem Trotz des langsamen Überwindens.
Was wir erlebt haben im „Dritten Reich“, hat – und das ist auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit – uns unsere Identität so nachhaltig geraubt, dass wir heute in einer Art Übersprungshandlung ohne Nation und als Oberlehrer Europas dastehen und unsere Vergangenheit mehr und mehr vergessen. Die Frage, ob die ganz normalen Bürger des Hitlerreiches, nicht auch Bürger des heutigen Deutschland sein könnten, also dass sich alles wiederholen könnte, beantworten Wahlerfolg der AfD und die Auftritte einer so genannten identitären Bewegung wenigstens teilweise. Nation? Ja welche denn? Wir können, nicht wie die Franzosen, die Engländer, die Spanier, auf eine lange gemeinsame Geschichte, wenn auch mit Brüchen, zurückblicken, wir haben eben eine sehr eigene und sehr schlimme Geschichte, die ohne die Verbrechen des Nationalsozialismus sicher anders verlaufen wäre.
Auch deshalb sind unsere Erinnerungen und unsere unbeantworteten Fragen so wichtig. So konnten wir vor kurzem das Haus der Wannseekonferenz in Berlin besuchen, jenem so idyllischen Ort, an dem die (allerdings längst beschlossene) „Endlösung“ der „Judenfrage“ besprochen und ihre „Verwaltung“ innerhalb der „Zuständigkeiten“ der diversen Nazi-Organe angeordnet wurde. Es handelte sich um Akteure der Arbeitsebene der politischen Gremien, also Staatssekretäre, Referenten wie Eichmann, SS- und Parteifunktionäre, die von dem Verbrecher (offiziell Chef des Reichssicherheitshauptamtes – RSHA, Chef der Sicherheitspolizei und des SD,Amtierender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren) Reinhard Heydrich über seine Anordnungen informiert wurden. Die „Endlösung“ wurde also dort nicht angeordnet, sondern übernommen, es wurde nur über ihre bürokratische, akribische Ausführung referiert. Es war quasi der Schirm, unter dem sich das Grauen – auch schon vor dieser Konferenz – abspielte, teilweise verborgen, teilweise durch Amtsdeutsch verschleiert, und es waren die Akteure, die im Unterschied zu den normalen Bürgern, genau wussten, was „gespielt“ wurde. Man war ausführendes Organ, amtlich bestellt, das Gewissen war beruhigt. Im ganzen vorliegenden Schriftverkehr taucht das Wort „Tötung“ nie auf. Sehr beruhigend war nur von Evakuierung, Aussiedlung, Überstellung in Ghettos, „freiwilliger“ Sterilisation von „Mischlingen“ die Rede, nie von Erschießungen, Vergasungen, Exekutionen.
Jawohl, wir sind die Alten, nicht die Neuen. Wir treten so langsam ab, aber noch sind wir da. Wir haben in der Mitte des vorigen Jahrhunderts unsere Schullaufbahn abgeschlossen, indem wir 1956 ein Abitur machten, das man noch so nennen konnte. Wir waren die, die im Hitlerreich geboren wurden, die Bomben und Kapitulation schon etwas bewusster mitmachten und eigentlich die ersten Nutznießer des Wirtschaftswunders waren.
Auch waren wir die Eltern der „Babyboomer“ und waren 1968 um die Dreißig. Und noch etwas ist für unsere Generation ein Merkmal: wir tragen noch frisch und bewusst in uns das Erbe der unseligen, schuldbeladenen Nazizeit, was man getrost in der Frage bündeln kann: Warum wir Deutschen…? Unsere Eltern, die das hauptsächlich zu verantworten oder mindestens mitzuverantworten haben, sind tot. Wir dagegen leben noch und können der jungen Generation, die sich mit Pegida und AfD etc. auseinandersetzt, auf die Nöte und Gefahren des falschen Nationalismus (gibt es den richtigen?) aufmerksam machen. Bürokratie ist immer auch Deckmantel, sittliche Beruhigung, Verschleierung und ihre Sprache, heute als politisch korrekte Sprache vermarktet, treibt Blüten. Wir können über das finstre Zeitalter berichten, wir können das was heute Populismus heißt, auf die Sprachungetüme der Nazizeit herunterbrechen (Evakuierung, Kinderlandverschickung, Winterhilfswerk, Wehrkraftzersetzung etc.). Wir können aufklären.
Tun wir es. Solange noch Zeit ist!