Was ist eigentlich ein Narrativ?
Liest man neuerdings Verlautbarungen von Politikern über bestimmte gesellschaftliche oder auch auf Werte bezogene Umstände, fällt immer wieder das Wort “Narrativ”. Dies ist ursprünglich, von der Wortwurzel her, vom lateinischen “narrare” = erzählen herzuleiten, wird aber aktuell mehr auf die englische Form “narrative” bezogen, was bedeuten kann: “Erzählung oder Darstellung, die benutzt wird, um eine Gesellschaft oder historische Periode zu erklären oder zu rechtfertigen” (Wikipedia).
Inzwischen wird aber der Begriff inflationistisch für jede Art von Deutung eines Sachverhalts benutzt, d.h. er wird subjektiv denaturiert. Daher sollte man ihn eigentlich nicht mehr benutzen, zumal er meist besonders von Politikern oder Journalisten nur als Rechtfertigung oder Ablehnung eines Sachverhalts benutzt wird. Er wird polemisch verzerrt.
Beispiel eines polemischen Narrativs: “Unsere Abitursklasse ist eine Versammlung von alten weißen Männern, die eine stockkonservative Grundhaltung vorweisen. Sie sind glücklicherweise nicht mehr in irgendeiner politischen oder gesellschaftlichen Verantwortung.”
Beispiel eines gültigeren Narrativs (ohne es verwenden zu wollen): “Unsere Abitursklasse ist eine Versammlung von alten Schulkameraden, die ihre Werte aus einer vergangenen Zeit beziehen und der Jugend in ihren Familien oder bei Diskussionen als Zeitzeugen zur Seite zu stehen versuchen.”
Ich bin manchmal geneigt, es von dem Wort “Narren” herzuleiten…
Danke, das kann man genau so sehen… Wir leben in einer Zeit der Narren; das Leitbild ist daher das Narrenschiff des Sebastian Brant.
Narrativ ist “Deutung” und wer “narriert”, hat Deutungshoheit – jedenfalls denkt er das.