Denglischer Neusprech
… oder was der deutschen Sprache so angetan wird. Man kann es in einem lesenswerten Beitrag der WELT nachlesen. Hier ist eine Adaptation:
Wenn Ihr Chef so redet, drohen Stress und Kündigung
Wenn Goethe am Ende des Tages im Nachgang seines Workflows noch Handlungsbedarf für ein paar Extrameilen gesehen hätte, wäre vielleicht dieses Gedicht dabei herausgekommen:
Über allen Peaks wird nicht mehr performt,
am Ende der Fahnenstange ist keine Luft mehr nach oben,
die Kuh ist vom Eis geholt,
warte nur, zeitnah bist auch du im Sabbatical.
Solche Parodien auf Goethes poetische Key Note “Wandrers Nachtlied” kommen einem in den Sinn, wenn man sich in Hermann Ehmanns “Wörterbuch der unverzichtbaren Bürofloskeln” schlaumacht und das dann sacken lässt. Der Sprachwissenschaftler hat unter dem Titel “Ich bin da ganz bei Ihnen” (erschienen im C. H. Beck Verlag, München zum Preis von 8, 95 Euro) die Versatzstücke der Gruppen- oder Sondersprache von Top-Performern, Teamplayern und Begeisterungsträgern nicht nur gesammelt, sondern auch auf Kosmetikeffekte, Wichtigtuerfaktor und Zeitgeistigkeit untersucht.
Wenn der Chef etwa einen Vorschlag interessant findet, meint er damit eigentlich nur “langweilig” oder “kommt gar nicht infrage” oder gar “was für ein Quatsch”. Schlimmer ist es nur, wenn er irritiert ist. Den Satz “Wir sind über Ihr Verhalten leicht irritiert” übersetzt Ehmann mit der nicht gerade freundlich gemeinten Auskunft: “Sie werden von uns in den nächsten Tagen eine Abmahnung erhalten.”
Natürlich sind nicht in allen Büros alle Bürofloskeln gleichermaßen häufig im Einsatz. Unter Beratern oder Consultern, wie sie sich seit einiger Zeit hochtrabend nennen, sind sie sicher häufiger als unter Versicherungsmathematikern. Man kann wohl sagen: Je weniger die Human Capital Resource mit dem operativen Geschäft (also laut Ehmann den Bereichen, in denen Geld verdient wird) zu tun hat, desto ausgeprägter ist die Neigung, dem eigenen Outplacement mit auftrumpfenden Floskeln vorzubeugen, die suggerieren, dass der Sprecher nicht nur auf Augenhöhe ist, sondern sogar den heute so beliebten High Level View hat.
Das Wording dabei ist erwartungsgemäß häufig englisch: Anglizismen eignen sich sowohl dazu, banale Tätigkeiten aufzuwerten (in kaum einer Stellenanzeige wird ja heute noch ein Verkaufsleiter gesucht, es gibt nur noch Sales Manager), als auch zum Verschleiern von Härten: “Wie es aussieht, müssen wir da heute Abend noch einiges afterworken” klingt doch erst mal netter als “Vor Mitternacht kommt hier heute keiner aus dem Büro raus”. Allerdings halten solche Tarneffekte meist nicht lange an: Rasch begreift auch der Dümmste, dass mit challengen gemeint ist, die Mitarbeiter sollen sich gegenseitig zerfleischen.
Denglisch ist aber nicht alles. Auch Ausdrücke aus dem uralten Stammwortschatz des Deutschen können in der Protz-und-Nebelwerfer-Rhetorik der Büros eine neue Bedeutung bekommen: Ein Einlauf ist dann nicht mehr die Darmspülung mit Kräutersud, die jemandem aus medizinischen Gründen und mit guten Absichten verabreicht wird, sondern das, was früher Anschiss hieß. Eingebunden werden heute nicht mehr Bücher, sondern Menschen. Dampf rausnehmen muss man auch im garantiert dampfmaschinenlosen Berufsleben des 21. Jahrhunderts noch gelegentlich. Dafür setzen sich alle an einen Tisch. Aber spätestens, wenn alles in trockenen Tüchern ist, befindet sich der Prozess dann endlich auf einem guten Weg.
Manche dieser neudeutschen Redensarten sind aber möglicherweise vom Englischen inspiriert: Jemanden ins Boot holen interpretiert Ehmann beispielsweise als Lehnübersetzung der Redensart to get someone on board. Die Wege der Sprache sind eben tricky.
Von Englisch wird aber auch gern zum Lateinischen umgeswitcht. Im modernen Bürodeutsch behauptet die Sprache der Römer ihre Stellung als klassischer Lieferant von Imponier- und Tarnvokabeln: Temporär klingt doch besser als befristet, redundant weniger hart als unwichtig, und wenn jemand involviert ist, dann fühlt er sich gleich präferiert.
Das Erfrischende an Ehmanns Buch ist, dass man sich bei der Lektüre ständig selbst ertappt, die eine oder andere Floskel schon einmal benutzt zu haben. Das ist kein Grund zur Panik. Der Münchner Linguist gehört nicht zu denen, die jeden Unfug gleich für ein Signal des drohenden Sprachuntergangs halten: “Der mit Laber-Rhetorik, Anglizismen und Latinismen durchsetzte Businesstalk ist Bestandteil des ganz normalen Sprachwandels, der nie aufhört. Als solches ist er zuerst einmal neutral zu bewerten.”
Gefahr droht nach Ehmanns Meinung nur, wenn Sachverhalte verschleiert oder Menschen manipuliert werden sollen. Er rät: “Floskeln Sie hin und wieder zum Spaß mit, denn wer mit Wörtern spielt, handelt kreativ. Doch bleiben Sie angesichts des inflationären Wörterwulsts sprachkritisch!”