Bürgerliches Nachdenken
Ich berichte von folgender Entwicklung eines Stadtteil-Streits um den hiesigen Namensgeber und Kriegsverbrecher Hermann Röchling. Das Bundesland ist das Saarland, die Stadt heißt Völklingen, war Industriestandort und maßgeblicher Hitler-Unterstützer war dieser Röchling in den 30er Jahren. Er hatte Hitler sogar zum Krieg gegen Frankreich geraten, wohl um seine Rüstungsgüter besser absetzen zu können. Er “schuf” allerdings auch für seine Arbeiter einen Stadtteil mit schmucken Häuschen, in dem willige Beschäftigte “sozial” wohnen und sogar Eigentum erwerben konnten. Gute Sache eines Gutmenschen?
Nun, dieser Gutmensch beschäftigte nicht nur den “gemeinen” Saarländer des damaligen “Saargebiets”, sondern auch Zwangsarbeiter in großer Zahl, die er in einem Zwangslager mit fließendem Übergang zu Charakteristiken eines KZ hausen ließ. Tote bei schlechter Versorgung wurden in Kauf genommen und waren sozusagen statistisch eingeschlossen. Röchling wurde nach dem Kriege als Kriegverbrecher angeklagt und als solcher verurteilt. Er durfte zeitlebens nicht mehr nach Völklingen oder in das Saarland zurückkehren.
Dennoch wurde er 1951 zum Namensgeber dieses von ihm initiierten Stadtteils,der dann lange Jahre “Hermann-Röchling-Höhe” hieß. Vor etwa einem Jahr nun kamen kritische Leute darauf, dass es mit der Namensgebung doch nicht so gut gelaufen sei und brachten das Thema einer Umbenennung auf die Tagesordnung einer Stadtratssitzung. Nach vielen Diskussionen eines beschwichtigenden, zudeckenden Grundtenors kam man über ein, den Namen des Stadtteils in “Röchlinghöhe” zu ändern. Gut gelaufen, denn die Erinnerung an den Gutmenschen blieb erhalten.
Es wurde nun ein Stadtteilfest “75 Jahre Röchlinghöhe” angesetzt, und in Pressemeldungen darauf hingewiesen, dass dieses Fest ganz frei von Geschichte und “nur” ein fröhliches und bürgernahes Fest sein sollte. Ich frage: wie das? Kann man ein Fest, das die 75 Jahre von 1938 bis heute zum Gegenstand hat, ohne die dazugehörige Geschichte feiern? Ich meine nein, und allein die Idee, es zu können, signalisiert mit diesen wieder so leichtfertigen Umgang mit der Geschichte und unserem Geschichtsbewusstsein. Vergessen, Verdrängen und Verlieren – das sind die mentalen Prozesse, die uns dabei helfen, trotz Knopp und ZDF eben keine genuine Erinnerungskultur zu entwickeln, in der die schlimmen Zeiten ihren Platz haben und in der auch die guten Zeiten präsent sind. Die Zeit nach 1945 bis 1950, in der der Wiederaufbau eines zerstörten Landes im Vordergrund stand, rechne ich zu den bemerkenswerten, positiv besetzten Abschnitten. Doch immer kommt es zu einer Reflexion über die handelnden Personen. Und wieder schlägt das “Dritte Reich” durch. Es begann nämlich gleichzeitig auch die Zeit der Restauration. Man wollte die Alten wieder haben. Und das waren in der Regel die Unbelehrbaren, die Nazis, die übrig geblieben waren. Die “Entnazifizierung” wurde ja nur halbherzig betreiben – und so bleib in der Bevölkerung die Idee der Entschuldbarkeit, die die “Schlussstrich”- Generation effizient umsetzte. Nur so sind die gegenwärtigen, an den Stammtischen und anderen bürgerlichen Konventen üblichen Praktiken der Verdrängensmentalität erklärbar. Sie führt unmittelbar zur Geschichtslosigkeit, die sich ja gerade in unserer Jugend breit macht (Umfragen zufolge weiß diese Jugend nicht, wer der erste Bundeskanzler, wer Willy Brandt oder wer Theodor Heuß waren).
Und daher sind die Völklinger geradezu zeitgemäß, wenn sie geschichtslos fordern, eine Feier mit den Wurzeln von 1938 fröhlich-friedlich zu begehen, unbeachtet der Judenmorde, der KZs, der angezettelten Kriege und Völkermorde und des kriminellen Verbrechertums, das Deutschland damals führte und zu dem auch Hermann Röchling gehörte.
So wird dem latenten Faschismus – den ich für real halte – der Boden bereitet.
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