Verfassungsgericht zu Triage
Wenn man als alter – bis sehr alter Mensch die Zeitungen aufschlägt ( klar: das tun nur noch die Alten), springt einem außer den offenbar unverzichtbaren Coronameldungen aktuell eine andere Meldung ins Auge, die sich mit der Triage auf den Intensivstationen befasst. Was ist eine Triage?
Hiebei handelt es sich um eine ärztliche Entscheidung in der Notfallaufnahme oder auf der Intensivstation, zwischen gleichzeitig zu behandelnden Notfällen und der mangelhaften Verfügbarkeit von Ressourcen etwa von Beatmungsgeräten zu entscheiden, welcher von den Notfällen die Ressourcen beanspruchen kann und die Überlebenschance hat und wer nicht. Es ist also eine schwere und manchmal tragische Entscheidung, da sie auch den “Falschen” treffen kann.
Auf die Anträge zweier behinderter Menschen hin, die ihre Schutzbedürftigkeit durch eine medizinische Triage gefährdet sahen, hat das Bundesverfassungsgericht auf die besonderen Verhältnisse der Intensivstationen in Coronazeiten und unter Beatmungsbedingungen hin nunmehr entschieden. Die Entscheidung betrifft dabei zwei Aspekte:
- erstens die besondere Lage unter Coronabedingungen
- zweitens die Schaffung von Rahmenbedingungen durch den Gesetzgeber, also das Parlament.
Ich kommentiere das als alter Arzt, Intensiv- und Notfallmediziner so:
Seit gestern ist eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Kraft, bei der es um die so genannte Triage geht. Diese akutmedizinische Situation ist uns Ärzten, die mit Intensivmedizin befasst sind oder waren, sehr bekannt und sie gehört zu den fachlich, ethisch und menschlich besonderen Herausforderungen der modernen Medizin.
Wann man das Urteil richtig verstanden hat, geht es einerseits um den Schutz von behinderten Menschen, die als Beschwerdeführer auftraten, in Akutsituationen (Beatmungsindikaktion) der Corona-Pandemie, andererseits aber um einen gesetzlichen Rahmen hierzu, den der Gesetzgeber, also das das Parlament, rasch verabschieden möge.
Nun ist uns Ärzten es immer hohe Pflicht gewesen, niemand von einer notwendigen Behandlung wegen Behinderung, Alter oder Sozialstatus auch nur im Ansatz auszuschließen. Das würde dem ärztlichen Auftrag, Leben zu retten, diametral widersprechen.
Wie sieht denn die Realität aus?
Intensivbehandlung ist oft Behandlung auf der Grenzlinie zwischen Lebend Tod. Akute Entscheidungen sind oft nötig. Bei so existentiellen Entscheidungen wie einer „Triage“ aber haben wir es immer mit dem kollegialen Vieraugen-Prinzip gehalten und mit ärztlichen Entscheidungshilfen wie
- intensive Rücksprache mit den Angehörigen
- Beurteilung der akuten Patientenlage und möglicher Behandlungserfolg,
- Ausmaß der späteren gesundheitlichen Wiederherstellung.
Nur wenn diese Faktoren alle zusammen ergeben, dass von zwei Patienten einer extrem schlechte Überlebenschancen gegenüber dem zweiten Patienten hat, Übereinstimmung mit Kollegen und Angehörigen besteht, kann eine Triage erfolgen. Es ist eine für alle grenzwertige Entscheidung, die immer existentiell ist. Daran ändern auch Gerichtsentcheidungen und. “Rahmenbedingungen” nichts.
Daher ist der Beschluss des Gerichts zwar gut gemeint, aber für uns Ärzte mit ihrer langen fachlichen Erfahrung unverständlich, denn sie unterstellt uns wenigstens im Ansatz Inhumanität, was sicher nicht im Sinne des Gerichts gelegen haben kann.
Rahmenbedingungen:
Diese erstellt das Parlament. Es handelt sich also um einen hochdemokratischen Vorgang. Kritisch ist dabei nur, dass er dazu dienen kann, die Ärzte in ihren Entscheidungen zu beeinflussen. Wenn das so wäre, würde es sich um einen Eingriff in die ärztliche Entscheidungs”freiheit” handeln. damit wäre der ärztliche Auftrag “nil nocere” ad absurdum geführt. Das wäre speziell in diesem Kontext eine Ungeheuerlichkeit.
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