Martin Walser
Martin Walser ist vor ein paar Tagen mit 96 Jahren gestorben. Man erinnert sich nun an einen letzten bedeutenden Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts, schreibt Nachrufe und Würdigungen.
Ich las: „Ein fliehendes Pferd“, „Ein liebender Mann“ und wusste, dass er eine Rede in der Paulskirche zu Frankfurt gehalten hat, in der er die „Instrumentalisierung“ des Holocausts durch unsere Medien scharf angriff und sie als „Dauerpräsentation unserer Schande“ bezeichnet hat. Dem kann man zustimmen oder auch nicht, doch hat er damit die gelegenheitsbezogene Erinnerungssucht (nicht -kultur) unserer Medien, die sich auch auflagenwirksam ausdrücken muss, gut charakterisiert.
Er zeugte mit der Ehefrau von Rudolf Augstein einen Sohn, Jakob Augstein, und er ist der Schwiegervater seiner ältesten Tochter und deren Ehemann Edgar Selge, einem sehr guten Schauspieler aus Film und Fernsehen.
Was bleibt von ihm? Ich schätze ihn als brillanten Autor mit ausgesprochener Sprachbegabung (als Schwabe hat man das?) und packenden Novellen und Erzählungen. Man kann ihn in die Nähe Thomas Manns rücken, obwohl weder Martin Walser noch Thomas Mann das verdient haben mögen. Immerhin beschreibt er die letzte Liebe Goethes zu Marianne von Willemer in Frankfurt. Er trifft sie 66jährig dort und beginnt zu lieben, was man nach der Erfahrung mit Christiane Vulpius und deren Leben durchaus verstehen kann. Der West-Östliche Diwan entsteht aus dieser Beziehung.
Doch leider bleibt diese Liebe unerwidert. Wie natürlich.
Walser wurde 96 Jahre alt. Sein „Denkmal“ in Überlingen (von Lenk) zeugt eine dickliche Person, die über den Bodensee reitet und am Ziel zusammenbricht. Zurück bleiben unansehnliche Frauen – nur, Walser hat die Skulptur nicht gemocht, war aber mit Lenk weiter befreundet. Auch das ein Beweis seiner Unvoreingenommenheit. Übrigens war er in jungen Jahren – wie so viele – Mitglied der NSDAP.
Ich hatte das Vergnügen, vor etwa dreißig Jahren Martin Walser bei einer Lesung in Berlin zu hören. Er las aus seinen Tagebüchern. Besonders beeindruckt haben mich “Das fliehende Pferd” (auch die Verfilmung) sowie “Ein liebender Mann”. Sein hohes Alter geht in die Unsterblichkeit über.
Auch in unserer Zeitung stand 1 Seite Bericht über Martin Walser. u.a. Oft schieden sich die Geister an diesem Mann. Die einen Verehrten ihn. Von anderen wurde er gescholten. Nicht zuletzt, weil der “Großschriftsteller vom Bodensee”, wie er gerne genannt wurde, seinen eigenen Kopf hatte und immer klar Stellung bezog. Schon bei seiner Abiturfeier nahm der 1927 als Sohn eines Kohlenhändlers in Wasserburg geborene Walser seine Lehrer in einem 120-strophigen Langgedicht aufs Korn, so dass der Rektor danach das Kollegium noch einmal einberufen musste, weil er diesem Schüler den Abschluss gleich wieder aberkennen wollte, da er ja augenscheinlich noch nicht “reif” sei.
Liebe Anne, das ist eine schöne Ergänzung zu dem Beitrag. Danke dafür. Leider wird nicht berichtet, ob Walser tatsächlich das Abi aberkannt wurde… An seiner literarischen Leistung hätte es wohl nichts geändert.
Die wunderbare Darstellung im “Liebenden Mann”, der späten Liebe Goethes zu jener Ulrike von Levetzow, die im berichteten Nachsatz sogar auf Gegenseitigkeit beruhte, erschien mir als Hommage – an S. Excellenz (sic!) sowohl wie an das badeweltliche Umfeld in Karlsbad. Und an Ulrike, die S. Excellenz akzeptiert und ihn nachahmt, wo immer das geht. Auch das ist Liebe. Daran ändert auch nichts ein Herr de Ror nichts, französischer (!) Schmuckhändler und vielleicht ein wenig Betrüger?