Kurze Meditation über einen Sinnspruch

Viele von uns erinnern sich, dass in der Vorhalle unseres Gymnasiums beiderseitig der Uhr der Spruch zu lesen war:

HOC MONSTRAT NOBIS HORAS CITIUS PROPERARE
SIC HORTATUR TE NITERE CARPE DIEM

Der Spruch stammt von Studienrat Hermann Steltzer. Er wurde dort um 1950 angebracht, später jedoch entfernt. Glücklicherweise ist er auf einem Foto erhalten, das auf einer unserer Internetseiten zu sehen ist. Die Uhr ermahnt uns, unsere Zeit gut zu nutzen.
Es handelt sich um ein Distichon (Hexameter + Pentameter) in verstechnisch korrekter Form. Die häufige Verwendung von Spondeen (lang-lang bzw. Hebung-Senkung) verleihen dem Verspaar eine gewisse Schwere, die vielleicht dem Thema angemessen ist, aber auch ein wenig unelegant wirkt. Man halte dagegen einen x-bliebigen Vers von Ovid! Etwas plump auch (wiewohl gegen keine Versregel verstoßend) in der ersten Zeile das „citius properare“ mit der auf das –us fallenden Betonung und der Konsonantenhäufung.
Doch was meint der Verfasser eigentlich mit „citius properare“? Das Verb properare kann sowohl im transitiven als auch im intransitiven Sinn verwendet werden (beschleunigen bzw. eilen). Aber citius properare? Das wäre im ersten Falle ein Pleonasmus („schneller beschleunigen“).
Leider ist mir erst jetzt aufgefallen, dass ich mir die erste Zeile in Gedanken offenbar stets falsch übersetzt habe: „Dieses (d.h. die Uhr) zeigt uns, wie man die Zeit schneller verstreichen lässt“.
Wie aber passt das zusammen mit der Aufforderung, den Tag möglichst fleißig zu nutzen („nitere, carpe diem“)? Für mich ein Widerspruch.
Jetzt bin ich zu der Auffassung gekommen, dass es sich hier um einen A.C.I handeln muss. Tatsächlich habe ich im Internet ein paar Beispiele für den A.C.I. nach dem Verb monstrare gefunden. Also müsste die Übersetzung etwa lauten: „Dies zeigt dir, dass die Zeit schneller dahineilt.“ Nur: warum der Komparativ, wo doch der Vergleich fehlt? Vielleicht nur, um das Versmaß zu erfüllen?
Ich bin mir der Sache keineswegs sicher.
Hier sind die Altsprachler gefragt, die ihr Latein noch nicht ganz vergessen haben.
Hanning, tritt auf den Plan und sag, dass alles ganz anders ist!

Gerd Bussing