Unser Klassenkamerad Fritz Achelpöhler veröffentlichte 2014 seine Broschüre “Mädchen. Schule. Zeitgeschichte. – Eine Zeitreise mit Bielefelder Schülerinnen die Jahre 1828-1996” über die Schule seines Wirkens in Bielefeld.
Wer immer noch an der Existenz Bielefelds gezweifelt hat, hier wird er eines anderen belehrt.
Das Buch kann ohne Übertreibung als herausragendes, zwar zunächst lokalhistorisches, aber auch allgemein-gesellschaftliches Zeitzeugendokument gelten. Nun sind wir 56er irgendwo alle “Zeitzeugen” und ich habe dies in unserer Website auch oft so darzustellen versucht. Verbunden hatte ich das mit der Aufforderung, sich zu solchen Themen wie NS-Zeit, Umbruch nach 1945 oder unserem speziellen Lehrerkollegium an unserer gewiss auch zeithistorisch interessanten Schule zu äußern. Die Resonanz war eher mager.
Und nun dies.
Fritz hat genau diesen Versuch unternommen, seine alte Mädchen-Schule, die1826 gegründet wurde, in ihrem schulischen, lokalen und gesellschaftlichen Kontext auch einer wechselnden Namensgebung dieser Schule im Laufe der Zeiten, speziell der Zeiten vor der Nazizeit und während dieser darzustellen.Da Namen sicher nicht nur Schall und Rauch sind, ist ihm ein Spiegel der Zeiten wohl gelungen. Die Infiltration auch der weiblichen Jugend mit den Naziparolen wird hier nochmals beklemmend deutlich, doch es kommen auch die vertriebenen jüdischen Mitglieder der Schule zu Wort, was den Wert des Werkes weiter steigert.
Ein eindringliches Erlebnis der Bielefelder Schülerinnen, das über den Zeitgeist der damaligen weiblichen Jugend Bände spricht, bringt das folgende Zitat eines Besuchs von Schülerinnen auf dem Reichsparteitag in Nürnberg nahe (pp. 32-33):
“Aber das schönste war Nürnberg: Das Herrlichste, was man erleben kann, haben wir erlebt. Als wir… zurückkamen, hörten wir…, dass der Führer zum Deutschen Hof käme. Schnell liefen wir hin und warteten eine Stunde. Da bekamen wir Hunger, gingen zum Essen, und als wir wieder zurückkamen, war die Standarte schon hochgezogen. Unser Platz war zum Glücke noch frei. Mit traurigen Gesichtern stellte wir uns dort auf und sahen sehnsüchtig nach den Fenstern. Vielleicht sah der Führer ja mal aus dem Fenster.Leute kamen und sagten “Ja, ihr müsst rufen!”. Nein, das wollten wir nicht, wir wollten den Führer nicht stören. Und das war unser Glück! Wir hatten ungefähr zwanzig Minuten gewartet, als Brückner (der Adjutant Hitlers; Anm. Verf.) aus der Türe trat und uns herüberwinkte. Wir sind noch nie so schnell über die Strasse gekommen. Er fragte, woher wir kämen und sagte uns, der Führer lüde uns ein. Wir quiekten vor Freude. “Seid ihr verrückt,” sagte Brückner, “wollt ihr euren guten Eindruck verwischen?” Schnell waren wir still. Wir wurden in ein Zimmer geführt und bekamen Kaffee, Kuchen, usw… Endlich nach eineinhalb Stunden, wurde wir nach oben geführt… Dann kam der Führer. Niemand sagte ein Wort. Er gab jedem Mädel die Hand und fragte nach unserem Wohnort. Fest erwiderten wir den Händedruck des Führers. Wir konnten kaum fassen, dass der Führer wirklich vor uns stand…”
Hier wird wiederum klar, wie das Regime auch die weibliche Jugend umwarb und umgarnte. Das stieß auch auf die Gegenliebe der idolvernarrten Mädchen, übrigens damals wie heute, nur heute sind die Idole glücklicherweise die Popstars.
Es handelt sich bei dem Werk um eine durchaus zeithistorisch zu nennende Arbeit, die in die Reihe der wissenschaftlichen Zeitbetrachtungen eines gestandenen Historikers gehört. Zu solchen ist Fritz Achelpöhler zu rechnen.