Gottfried Benn und seine Zeit
Es ist an der Zeit, Kritisches zu Gottfried Benn (1886-1956), zum Lyrik-Idol unserer Jugend zu sagen. Um es vorwegzunehmen: Er ist unser lyrisches Idol geblieben, denn diese Lyrik ist und bleibt ein Markstein, ein Meilenstein unserer Welt und sie bleibt zeitlos und Kritik an ihr ist nicht angebracht.
Auf dem Bild, aufgenommen 1933, ist Benn zu sehen als Arzt in seiner Praxis an einem Schrank mit Utensilien. Er wirkt etwas abwesend.
Anders ist es sich aber mit Benns Verhalten in einer Zeit, in der die eben aufwachende Demokratie durch eine Diktatur ersetzt wurde. Benn – Kulturnazi? Und alle haben mitgemacht, eben auch Benn. Wir haben an dieser Stelle uns schon oft gefragt, was denn die Gründe waren für diese teils kritiklose Zustimmung zu einem System, das bereits 1933 kurz nach der erfolgreichen Wahl der NSDAP in den Reichstag (März 1933) den Reichstag auflöste, ein Ermächtigungsgesetz und diverse Notverordnungen auf den Weg brachte. Das war mit den 288 Sitzen und den zusätzlichen Sitzen der Hugenbergpartei (88) möglich. Interessant ist, dass schon damals die Stimmen des Ostens einen Zustand des Rechtsaußen spiegelten: mehr als 55% stimmten für die NSDAP! Die KPD-Wahl wurde annulliert und die SPD war dann bedeutungslos. In einer zweiten “Reichsagswahl” November 1933 war die NSDAP als einzige Partie zugelassen und damit uneingeschränkt an der Macht.
War das die Situation, in der unsere Eltern und Großeltern, also die “Volksgenossen”, bar jeder Kritik für ein System stimmten, das sehr bald seine pseudodemokratische Maske fallen ließ, und sich zu einer verbrecherischen Diktatur wandelte? Es ist wohl ein zu vielschichtiges Problem, das sich aus Karrieredenken, Fortkommen, Prosperität und sicherlich auch Aufbruchsstimmung zusammensetzte.
Benn z.B. legte großen Wert auf seine Mitgliedschaft in der Akademie der Künste und auf die in der Sektion Literatur. In dem sehr interessanten Band “Februar 1933 – der Winter der Literatur” von Uwe Wittstock (CH Beck 2024) wird auf diese überwiegend wirtschaftliche Begründung Benns deutlich hingewiesen. Er war als venerologischer Dermatologe in Berlin niedergelassen und seine Praxis “warf nicht viel” ab. Er hatte ja doch zahlreiche “Affairen”, die gewiss auch Geld kosteten. Von seinen Gedichtbändchen konnte er auch nicht wirklich leben. Also: das Ganze war eine schlicht pekuniäre Aktivität. War es das? Leider nicht nur. Demokratie war nicht sein Ding und sein Wirken in der Literatursektion der Akademie entsprach der “neuen Zeit”.
Er war, und das muss man sehr kritisch anmerken, zutiefst demokratiefeindlich, von Nietzsche beeinflusst und davon, dass das Wort (der “Satzbau”) das eigentlich Berauschende und damit Sinnhafte sei. Er hat behauptet, dass Pervitin, also Methamphetamin oder Chrystalmeth, als Rauschmittel legalisierte werden sollte. Das ist garnicht gut. Da ist ja heute Cannabis ein eher harmloses Mittel… Später zwar kehrte er der “neuen Zeit” den Rücken und begab sich in – so nannte er das – in eine aristokratische Form der Emigration. Er wurde Oberstabsarzt in der Wehrmacht. Naja…
Auf der nächsten Seite folgt ein Gedicht aus den Statischen Gedichten in Zürich 1935 erschienen. Astern – schwälende Tage…
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